Immer wieder mit Suizid konfrontiert

Betroffene Fachpersonen

Die häufigsten Reaktionen von Beratungspersonen nach dem Suizid eines Patienten
Beratungspersonen reagieren auf den Tod eines Patienten sowohl als Individuen als auch in ihrer Rolle als Fachperson. Trauerreaktionen können auf der emotionalen, der kognitiven und der Verhaltens-Ebene beobachtet werden.

Reaktionen auf emotionaler Ebene
Gewöhnlich ist die unmittelbarste Reaktion der Schock. Ist diese erste Phase überwunden, empfindet die Mehrheit der Fachpersonen einen grossen Schmerz, der häufig von Schuld, Scham (v.a. gegenüber Berufskollegen und anderen Patienten) oder Traurigkeit begleitet ist. Dazu kommen in manchen Fällen Wutgefühle: Einerseits gegenüber der Gesellschaft, andererseits auch gegenüber der verstorbenen Person. Die Fachperson fühlt sich durch die verstorbene Person zurückgewiesen oder sieht ihre professionellen Fähigkeiten durch den Suizid in Frage gestellt. Andere erleben ein Gefühl der Erleichterung, dass sie nun nicht mehr mit dem destruktiven Verhalten ihres Patienten zurechtkommen müssen. Das traumatische Erlebnis kann zu einem tieferen Selbstwertempfinden, zu Selbstvorwürfen und einem Gefühl des Versagens führen. Manche Beratungspersonen stellen ihre Professionalität und generell ihre Fähigkeit, anderen zu helfen, in Frage. Diese Gedanken führen manchmal auch zu einem depressiven Zustand. Schliesslich gelingt es aber einem grossen Teil der Beratungspersonen, ihre Grenzen zu akzeptieren. Sie sind dann – im Bewusstsein darum, dass es unmöglich ist, absolute Kontrolle über das Leben anderer auszuüben – fähig, das Vertrauen in ihre therapeutischen Fähigkeiten zurückzugewinnen.

Reaktionen auf kognitiver Ebene
Auf kognitiver Ebene reagieren die betroffenen Fachpersonen zunächst mit Ungläubigkeit. Oft wird auch verleugnet, dass der Tod durch Suizid erfolgte. Darauf folgen für posttraumatische Belastungen typische Reaktionen wie wiederkehrende negative Gedanken, Albträume, die sich auf den Suizid beziehen oder auch Konzentrationsprobleme. Hinzu kommen Zweifel bezüglich der eigenen klinischen Urteilsfähigkeit und Angst vor den Meinungsäusserungen von Kollegen und Vorgesetzten (stillschweigende Annahmen über mögliche Vorwürfe und Kritikpunkte). Relativ häufig machen sich Beratungspersonen auch Sorgen, von der Familie der verstorbenen Person beschuldigt oder angeklagt zu werden und vor Gericht erscheinen zu müssen. In späteren Phasen sind die häufigste kognitiven Reaktionen eine erhöhte Aufmerksamkeit (Hypervigilanz) für mögliche Anzeichen von Suizidalität bei jedem Patienten, ständiges Grübeln, um den nächsten «fatalen Irrtum» zu vermeiden und ein Schwanken zwischen dem Bewusstsein, dass die Arbeit mit suizidalen Patienten ihre Grenzen hat und dem Gedanken, dass der Suizid aufgrund mangelnder Empathie erfolgt ist.

Reaktionen auf Verhaltensebene
Betroffene Fachpersonen kommen häufiger zu spät zur Arbeit oder erscheinen gar nicht. Sie berichten von Schlafstörungen und Appetitverlust. Manchmal zeigen sich vermeidende Verhaltensweisen, indem die Fachpersonen sich weigern, sich um depressive Patienten oder solche mit Suizidgedanken zu kümmern. Betroffene Beratungspersonen neigen nach dem Suizid eines Patienten manchmal auch dazu, Anzeichen von Suizidalität bei ihren Patienten genauer zu beobachten, besprechen sich häufiger mit Berufskollegen, zeigen ein grösseres Interesse an rechtlichen Themen und verfassen sorgfältigere Fallberichte. Zudem kann die Tendenz beobachtet werden, dass sie auch Patienten mit einem geringen suizidalem Risiko in die Klinik einweisen, oder dass sie höhere Dosierungen von Medikamenten verschreiben, als tatsächlich nötig wären.

Individuelle Unterschiede bei Reaktionen auf den Suizid eines Patienten
Beratungspersonen in Ausbildung sind relativ immun gegenüber der kompletten Übernahme von Verantwortung für den Patienten, da sie immer noch unter Aufsicht arbeiten. Bei jungen Beratungspersonen spielt die Supervision eine zentrale Rolle, da diese, wenn sie gut durchgeführt wird, hilft, die Gefühle zu normalisieren. Sie erhalten dadurch auch die Möglichkeit, die Last der Verantwortung für den Tod des Patienten zu teilen.

Bewältigungsstrategien
Im Laufe der Zeit sind fast alle Beratungspersonen fähig, den Verlust emotional zu akzeptieren und sowohl als Individuen, als auch als Fachpersonen zu einem neuen Gleichgewicht zu finden. Einzelne leiden jedoch unter dem Konflikt zwischen der persönlichen und der professionellen Reaktion auf die Trauer, insbesondere, wenn sie meinen, sie müssten objektiv und abgeklärt handeln und ihre eigenen Gefühle unter Kontrolle behalten. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, mit einem Vorgesetzten oder einem unterstützenden und empathischen Berufskollegen über das Ereignis zu sprechen. Auch eine psychologische Autopsie (d.h. eine Rekonstruktion der Umstände, die zum Suizid führten) kann hilfreich sein, um Isolation und Schuldgefühle zu reduzieren. Auch wenn die Überwindung der Trauer nach dem Verlust eines Patienten durch Suizid die Stärke einer Beratungsperson und deren Eignung zur Ausübung des Berufes bestätigen kann, kann ein solches Ereignis die ganze zukünftige Arbeit einer Beratungsperson beeinflussen. Um die Risiken zu reduzieren, die mit einem solchen Erlebnis verbunden sind, ist eine spezielle, vorbereitende Ausbildung und die Unterstützung durch den Vorgesetzten, die Kollegen, die Familie oder eine Selbsthilfegruppe von zentraler Bedeutung. So führt die Suche nach Antworten nicht in die Verzweiflung, sondern zu persönlichem und professionellem Wachstum und vielleicht sogar dazu, dass ein tieferer Lebenssinn entdeckt wird.

Wir fördern Fachpersonen

Wir bieten Schulung, Beratung und Supervision an für Personen, die in ihrem beruflichen Kontext mit Suizid konfrontiert werden. Bitte kontaktieren Sie uns!
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Der Suizidrapport ist ein gelungenes Beispiel für die wertvolle Vernetzung von Fachpersonen.
Bei Suizidrapporten treffen sich Fachpersonen (z.B. Notfalldienste, Blaulichtorganisationen, Gesundheitsdienste, Psychiatrie, Justiz, Notfallseelsorge, Schule und Sozialwesen) zum informellen fachlichen Austausch zu den Themen Suizidprävention und Nachsorge. Durch den Rapport sollen neben der aktiven Suizidprävention Fachpersonen, die durch ihren Beruf mit dem Thema Suizid konfrontiert sind, vernetzt werden. Der Suizidrapport soll ein Gefäss bieten, in welchem sich Fachleute kennenlernen und somit die Hürden der interprofessionellen Zusammenarbeit abbauen können. Ausserdem werden gegenseitiges Vertrauen geschaffen und die fachlichen Kenntnisse über Menschen in suizidalen Krisen vertieft.
Im Kanton Zürich finden seit Jahren in den Städten Winterthur und Zürich zweimal im Jahr Suizidrapporte statt. Die beiden ersten Rapporte wurden von Mitgliedern des FSSZ (Forum für Suizidforschung und Suizidprävention Zürich) geleitet, welche auch die Entstehung von weiteren regionalen Suizidrapporten aktiv angeregt haben (z.B. Zürcher Unterland, Region Horgen oder Affoltern). Die teilnehmenden Organisationen wechseln sich bei der Durchführung der Anlässe ab und die dafür investierte Arbeit wird zu grossen Teilen ehrenamtlich geleistet.
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