Die Suche nach einem Grund für das Geschehene
Schuld
Die Schuldfrage kann als erste Reaktion nach einem Suizid ein Weg für die Hinterbliebenen sein, um zu verstehen, was geschehen ist. Häufig endet dies jedoch damit, dass jemand beschuldigt wird, für den Suizid der geliebten Person verantwortlich zu sein. Niemand trägt jedoch die Verantwortung für die Entscheide oder Handlungen einer anderen Person. Studien haben gezeigt, dass Schuldgefühle nach einem Suizid ausgeprägter sind als nach einem anderen Verlust. Die Hinterbliebenen fühlen sich oft schuldig, dass sie den Suizid nicht vorhergesehen oder verhindert haben. Die Familien der verstorbenen Person denken, dass der Tod das Ergebnis davon ist, dass etwas in der Familie falsch gelaufen ist. Eltern, die einen Sohn oder einer Tochter durch Suizid verloren haben, machen sich Vorwürfe, in der Erziehung Fehler gemacht zu haben. Diese Menschen grübeln immer wieder über den Suizid. Die Suche nach der Schuld/der schuldigen Person. Als erste Reaktion kann die Schuldfrage für Betroffene ein Weg sein, um zu verstehen, was geschehen ist. Häufig endet dies jedoch damit, dass jemand beschuldigt wird, für den Suizid der geliebten Person verantwortlich zu sein. Niemand trägt jedoch die Verantwortung für die Entscheide oder Handlungen einer anderen Person. Studien haben gezeigt, dass Schuldgefühle nach einem Suizid ausgeprägter sind als nach einem anderen Verlust. Die Hinterbliebenen fühlen sich oft schuldig dafür, dass sie den Suizid nicht vorhergesehen oder verhindert haben. Die Familien der Opfer denken, dass der Tod das Ergebnis davon ist, dass etwas in der Familie falsch gelaufen ist oder dass sie, wenn es sich um den Verlust eines Sohnes oder einer Tochter handelt, in der Erziehung Fehler gemacht haben. Diese Menschen grübeln immer wieder über die Ereignisse.
Wenn sich Vater/Mutter getötet hat
Der Verlust eines Elternteils in der Kindheit kann die Welt eines Kindes zerstören. Für Erwachsene hat dieser Verlust, obwohl er auch schmerzvoll ist, andere Konsequenzen. In den Trauerreaktionen von Kindern zeigen sich Geschlechtsunterschiede. Trauernde Söhne tendieren dazu, ihre Probleme zu externalisieren (d.h. sie haben ein nach aussen gerichtetes Bewältigungsverhalten). Sie haben mehr psychische Probleme und zeigen häufiger aggressive Verhaltensweisen im Vergleich zu trauernden Töchtern. Diese zeigen mehr internalisierende Verarbeitungsweisen (Grübelnder Bewältigungsstil, bei dem die Aufmerksamkeit stark nach innen gerichtet ist. Damit verbunden sind häufig Symptome wie sozialer Rückzug und Ängste). In einer US-Studie berichteten Kinder, die einen Elternteil durch Suizid verloren hatten, häufiger über depressive Symptome als Kinder, die einen Elternteil nach einer Krebserkrankung verloren hatten. Keine Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen ergaben sich bezüglich sozialer Kompetenz und Verhaltensauffälligkeiten.
Das Recht zu trauern
Eine Person, die jemanden durch Suizid verloren hat, hat das Recht …
- auf ihre eigene Art zu trauern und sich für die Trauer so viel Zeit zu nehmen, wie sie braucht.
- die Wahrheit über den Suizid zu kennen, den Körper der verstorbenen Person zu sehen und die Beerdigung entsprechend ihren eigenen Ideen zu organisieren.
- dass Suizid als Ergebnis verschiedener, miteinander verbundener Gründe gesehen wird, welche einen Schmerz für die verstorbene Person bedeuteten, den diese nicht mehr ertragen konnte.
- dass ihre Privatsphäre wie auch diejenige der verstorbenen Person respektiert wird.
- Unterstützung zu erhalten von Verwandten, Freunden, Kollegen und anderen Survivors wie auch von erfahrenen Fachleuten.
- den Therapeuten zu kontaktieren (wenn es einen gab), der die verstorbene Person behandelt hat.
- mit Respekt behandelt zu werden und Unterstützung zu erhalten, auch von der Polizei und von den Behörden.
- nicht darauf reduziert zu werden, ein Survivor (Hinterbliebener nach einem Suizid) zu sein, sondern als Mensch gesehen zu werden, der verletzlich ist und auch Stärken hat.
- zu leben: ganzheitlich, mit Kummer und Freude, frei von Stigma und Verurteilung.
- nie mehr zu sein wie zuvor: Es gibt ein Leben vor dem Suizid und eines danach.
Was bieten Selbsthilfegruppen?
- Verschiedene Arten von Selbsthilfegruppen
Selbsthilfegruppen können homogen sein, wenn sie sich aus Menschen zusammensetzen, die Ähnliches erlebt haben (z.B. Eltern, die ein Kind verloren oder sich getrennt haben). Es gibt aber auch Gruppen, deren Zusammensetzung heterogen ist, wenn sie aus Menschen bestehen, die mit verschiedenen Problemen konfrontiert sind (z.B. Angehörige von Patienten mit verschiedenen Krankheiten oder Familien, die eine geliebte Person unter unterschiedlichen Umständen verloren haben). Selbsthilfegruppen können strukturiert und in ihrer Dauer beschränkt sein: Die Gruppe trifft sich für eine festgelegte Anzahl von Zusammenkünften (8 bis 12), befasst sich mit verschiedenen Themen und bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, gemeinsam zu lernen, zu reflektieren und zu teilen. Gruppen, die sich so gestalten, liegt ein aufklärerischer und informativer Ansatz zugrunde (sie können auch von Experten unterstützt werden). Sie beinhalten neben dem üblichen Ablauf aber auch Momente, in welchen die Teilnehmenden ihre Erfahrungen austauschen können. Andere Selbsthilfegruppen sind offen und kontinuierlich: Diese Gruppen treffen sich regelmässig (einmal in der Woche oder zweimal im Monat). Die einzelnen Treffen dauern gewöhnlich 1.5 bis 2 Stunden und finden am späten Nachmittag oder abends statt. Für die Mitglieder ist der Ein- und Austritt offen, um damit die Kontinuität des Kontakts und der Unterstützung zu gewährleisten. Das Thema ist jeweils offen, d.h. an den einzelnen Treffen wird über das Diskussionsthema entsprechend den Bedürfnissen oder den aktuellen Fragen der Teilnehmenden entschieden.
Gruppenleitung
Eine Fachperson, welche eine moderierende (und keine therapeutische) Rolle hat, leitet die Gruppe. Erfahrungsgemäss haben die Teilnehmenden oft eine grosse Angst davor, «pathologisiert» zu werden. Zudem besteht das Risiko, dass die Gruppenmitglieder eine übermässige Abhängigkeit vom Moderator entwickeln. Wünschenswerte Qualitäten von Personen, die eine Selbsthilfegruppe leiten, sind:
- ein grosses Interesse am Thema und Bereitschaft, die Initiative zu ergreifen
- die Fähigkeit, die Teilnehmenden willkommen zu heissen und ihnen zuzuhören
- ausreichende Kenntnis der Beschaffenheit und der Dynamik von Gruppen
- eine Vertrautheit mit den Themen, die angesprochen werden
- die Kompetenz, positive Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern zu fördern
- Bescheidenheit und Ausdauer: Beides ist wichtig, um mit schwierigen Momenten und/oder Gruppen zurechtzukommen.
Selbsthilfegruppen für Trauernde
Selbsthilfegruppen für Menschen, die einen Trauerprozess nach einem traumatischen Verlust erleben, können eine starke Ressource sein. Sie können einen Raum bieten, in dem die Teilnehmenden Kraft für diesen besonderen Lebensabschnitt schöpfen. Dabei handelt es sich nicht um therapeutische Gruppen im engeren Sinne. Vielmehr können sie eine therapeutische Wirkung entfalten, indem sich die Hinterbliebenen in einem Umfeld aufhalten, das sie akzeptiert und nicht verurteilt. Dadurch machen sie die Erfahrung, dass sie fähig sind, mit anderen Menschen zu kommunizieren, ohne sich dabei «anders» oder stigmatisiert zu fühlen. Wenn sich Hinterbliebene einer Selbsthilfegruppe anschliessen, erlaubt ihnen dies, sich nicht mehr einsam zu fühlen und in ihrer Trauer von anderen verstanden zu werden, da diese einen ähnlichen Verlust erlebt haben. Die Selbsthilfegruppe ermöglicht es den Teilnehmenden zudem, am Beispiel anderer verschiedene Verhaltensstrategien zu erlernen und damit jeglicher Tendenz entgegenzuwirken, dass sie sich in ihrer Trauer ungünstige Verhaltensweisen aneignen (bspw. sich Überarbeiten, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Spielsucht). Sich einer Selbsthilfegruppe anzuschliessen, erlaubt es Hinterbliebenen, in schweren Zeiten verstanden und unterstützt zu werden, auch wenn der Tod der geliebten Person schon weit zurückliegt. An speziellen Tagen (Jahrestage, Geburtstage, Ferien) kann die Sehnsucht nach der verstorbenen Person oder die Trauer wieder aktiviert werden. In solchen Momenten kann die Gruppe unterstützend wirken und Trost spenden, ohne den Hinterbliebenen allein zu lassen in seiner schwierigen Aufgabe, mit dem Schmerz umzugehen.
Zusammenfassend sind die Gründe, warum es Selbsthilfegruppen nach traumatisierenden Verlusten gibt, folgende:
- Um Unterstützung anzubieten und um zu erreichen, dass die Hinterbliebenen sich wieder als Teil einer Gemeinschaft fühlen können.
- Um einem Raum zu bieten, in welchem Hinterbliebene sich frei äussern können, ohne verurteilt zu werden.
- Um Menschen willkommen zu heissen, die sich sonst von der Gesellschaft zurückgewiesen und ausgeschlossen fühlen.
- Um einen Raum zu schaffen, in dem Menschen frei über ihre Sorgen, Ängste und Unsicherheiten sprechen können.
- Um die Hoffnung zu stärken, dass das Leben wieder zur «Normalität» zurückkehren kann.
- Um neue Verhaltensstrategien zu erlernen.
- Um zusammen mit anderen Jahrestage und Feiertage zu erleben.
Für die Gruppentreffen eignen sich Räume, die hell und «luftig» und nicht zu gross oder zu klein sind. Sie sollten eine familiäre und gleichzeitig neutrale Atmosphäre stimulieren. Daher eignen sich Räume eher schlecht, die auch von psychiatrischen Einrichtungen benutzt werden. Zudem ist es von Vorteil, wenn ein benachbarter, kleinerer Raum für den «privaten Rückzug» verfügbar ist. Die ideale Gruppengrösse bewegt sich zwischen sieben und acht Personen. Pro Gruppe sollte nicht mehr als eine Person aus derselben Familie teilnehmen. In Ausnahmefällen ist es möglich, dass zwei Personen aus derselben Familie an einem Gruppentreffen teilnehmen. Dies muss jedoch erst mit der ganzen Gruppe verhandelt und von allen akzeptiert werden.
Die Bedeutung von Selbsthilfegruppen
Die Teilnehmenden einer Selbsthilfegruppe sind «Experten in eigener Sache»
Selbsthilfegruppen mit dem Ziel der Bewältigung aller erdenklichen Gebrechen, Süchte und Verluste gibt es seit längerer Zeit. Die Grundidee der Selbsthilfegruppen ist einfach: In mehr oder weniger regelmässigen Abständen finden Menschen zusammen, die entweder an einer bestimmten Erkrankung leiden oder von einem anderen Schicksal betroffen sind. Infolge persönlichen Leidens oder eigener Betroffenheit sind die Teilnehmenden «Experten» für das Thema, das sie verbindet.
Zwei Arten von Selbsthilfegruppen
In offenen Selbsthilfegruppen treffen sich Interessierte aus eigenem Antrieb zu festgelegten Zeiten an einem bestimmten Ort. Das Angebot ist zeitlich nicht begrenzt und immer offen für neue Mitglieder. Zu geschlossenen Gruppen kann, nachdem sich eine Gruppe von sechs bis zehn Gleichbetroffenen gebildet hat, niemand Neues mehr dazustossen. Die Gruppe besteht für eine bestimmte Zeit, in der die Teilnahme an den Treffen verbindlich ist. Bei geschlossenen Gruppen hat es sich bewährt, dass sie von einer Person geleitet werden, die nicht selbst betroffen ist. Nach der Auflösung der Gruppe können sich die Teilnehmenden nach eigenem Bedarf wieder treffen oder sich einer offenen Gruppe anschliessen.
Geführte Selbsthilfegruppen: Anforderungsprofil der Leitenden
In Trauergruppen ist der Zusammenhalt unter den Teilnehmenden schwieriger zu erreichen als bei anderen Selbsthilfegruppen. Untersuchungen empfehlen daher zumindest eine Supervision bzw. Begleitung der Gruppe durch nichtbetroffene Sachverständige. Dabei müssen sich die Leitenden Fragen stellen, die das Zögern, die Scheu und die Unsicherheit der Teilnehmenden berücksichtigen: «Was rege ich als beruflicher Helfer in den Selbsthilfegruppen eigentlich an? Kann ich das verantworten? Wie viel Unterstützung soll, darf, kann, muss, will ich geben? Kann ich die Gruppe unterstützen, ohne ihre Mitglieder zu vereinnahmen?». Wichtig ist, dass vonseiten der Helfenden wie auch vonseiten der Betroffenen darauf geachtet wird, dass es zu keinem hierarchischen Gefälle kommt. Da es bisher keine Ausbildung gibt, die auf solche Fragen direkt eingeht und so Sicherheit vermittelt, müssen Selbsthilfegruppen-Begleiter ihre fachliche Kompetenz zu einem grossen Teil in der Arbeit mit den Betroffenen entwickeln. Die beste Möglichkeit, sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, bietet sich durch das Hospitieren bei einer erfahrenen Leitungsperson über die Dauer von mindestens einem Gruppenprozess. Eine erfolgreiche Begleitung ergibt sich aber schliesslich aus dem persönlichen Stil der Gruppeleitung. Es gibt keine Methode der Sozialarbeit, der Psychologie oder eines anderen Fachgebietes, die festlegen kann, wie Selbsthilfegruppen-Begleitung aussehen muss oder soll. Die Methode hängt von den Persönlichkeiten und den Wünschen der Teilnehmenden ab und nicht zuletzt auch von den persönlichen Möglichkeiten der Begleitenden. Die Begleitung von Selbsthilfegruppen muss durch methodische und inhaltliche Offenheit, durch eher reaktives, zurücknehmendes Handeln, durch ein regelmässiges Hinterfragen der eigenen Haltung («Fördere und ermutige ich selbstbestimmtes Handeln?») gekennzeichnet sein. Wichtig ist für die Teilnehmenden, dass eine aussenstehende Person anwesend ist, die ihnen «den Rücken stärkt» und einfach da ist. Die Begleitung von Selbsthilfegruppen bedeutet eine Gratwanderung zwischen der Förderung von Autonomie und der Erzeugung von Abhängigkeiten. Da Letzteres oft unbewusst geschieht, ist eine wechselseitige Intervision mit Kollegen notwendig. Der ideale Selbsthilfe-Unterstützer sollte ein Allroundgenie sein, eine Mischung aus Seelsorger, Psychologe, Psychotherapeut, Soziologe, Gruppendynamiker, Sozialarbeiter, Marketing-Fachmann und Kommunalpolitiker. Bei all dem ist in den Gruppen jedoch das «Sich-überflüssig-Machen» zentraler Bestandteil einer gelingenden Unterstützung durch die professionell Helfenden. Auch in «offenen» Gruppen kann es sinnvoll sein, wenn jemand die Rolle der Begleitung übernimmt, was nicht selten durch nicht Betroffene (denen aber keine leitende Funktion zukommt) geschieht, indem sie für die Gruppe «Reflexionspartner» sind. Nicht mehr ist nämlich nötig, aber auch nicht weniger. Sonst besteht die Gefahr, dass zu hohe Erwartungen an sofortige und konkrete Hilfestellungen durch die Begleitung zum Scheitern einer Gruppe führen können.
Die Arbeit in einer geführten, geschlossenen Selbsthilfegruppe
Die Dauer der Zusammenkünfte umfasst ein Jahr. Dadurch kann gewährleistet werden, dass alle Geburtstage (sowohl die der Teilnehmenden als auch die der verstorbenen Personen) , alle Todes- und alle Festtage des Jahreskreises einmal miteinander begangen werden können. Die Treffen haben einen stark strukturierten Ablauf, der ritualisiert gestaltet ist. Dies soll den Teilnehmenden Orientierung und Halt geben. Bei Beginn der Treffen unterhält man sich in der Gruppe über gemeinsame Regeln wie Verbindlichkeit und Verschwiegenheit. Es ist von Vorteil, wenn die Treffen an einem Ort stattfinden, der zentral und in der Nähe öffentlicher Verkehrsmittel gelegen ist. Da Hinterbliebene oft in finanzielle Schwierigkeiten geraten, ist die Teilnahme an den Zusammenkünften kostenlos. Die Person, die eine künftige Gruppe leiten wird, muss im Vorfeld aktiv auf Betroffene zugehen.<span class=»Apple-converted-space»> </span>Bei einem ersten Treffen soll durch aktives Zuhören die Möglichkeit gegeben werden, dass die Betroffenen über den Verlust berichten können. Schliesslich wird der Wert der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe dargelegt und aufgezeigt, wann voraussichtlich eine nächste Gruppe zustande kommt. Da das vielleicht mehrere Monate dauert, wird das Angebot gemacht, durch Korrespondenz (wenn möglich per E-Mail) oder offene monatliche Treffen in einem Restaurant schon einen beschränkten Beistand zu leisten.
Zusammenfassung
Über die Bedeutung von Selbsthilfegruppen braucht heute nicht mehr spekuliert zu werden. Das unentgeltliche Angebot der Selbsthilfegruppen entspricht allein in der Schweiz gleichwertigen professionellen Leistungen von schätzungsweise 96 Mio. Franken pro Jahr. Dabei stellen diese eine heilsame Ergänzung zu anderen Angeboten dar und stehen in keiner Weise in Konkurrenz zu diesen. Betroffene haben ein tieferes Verständnis für das Leiden Gleichbetroffener als Aussenstehende. Dieses Gefühl, wirklich verstanden zu werden, stellt für die Besserung der eigenen Situation ein zentrales Element dar. Selbsthilfegruppen fördern die Solidarität unter den Betroffenen, regen Selbstheilungskräfte an, reaktivieren persönliche Ressourcen und ermuntern zur Eigeninitiative. Persönliche schmerzliche Erfahrungen werden in der Gruppe zur Erfahrungskompetenz, die für andere tröstlich und hilfreich ist. Die ablehnende Haltung von Betroffenen gegenüber einem Hilfsangebot verbirgt in der Regel erst recht ein grosses Bedürfnis nach Unterstützung. Die Kontaktnahme muss daher aktiv sein. Die Abbruchquote in nicht geleiteten Selbsthilfegruppen beträgt rund 40%. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Selbsthilfegruppen ohne Leitung insbesondere für Verwitwete kein geeignetes Hilfsangebot darstellen. In der Trauer «erfahrene» Personen, die ihre eigene Trauer erfolgreich bewältigen konnten, verkörpern hingegen für soeben Verwitwete die Hoffnung auf Besserung ihres Zustandes. Eine Selbsthilfegruppe an sich bewirkt keineswegs automatisch eine positive Veränderung der Situation Trauernder. Über das Aussprechen der eigenen Leiden, Ängste und Unsicherheiten hinaus besteht ein «erfolgreicher» Trauerprozess aus einer aktiven psychischen Handlung der Trauernden selbst. Eine positive Veränderung kann in der Regel nur dann festgestellt werden, wenn die Betroffenen aktiv am gruppendynamischen Prozess teilhaben und zeitweise selber eine (informelle) Leitungsfunktion ausüben. Die Selbsthilfegruppe sollte nicht die einzige Form der Unterstützung sein. Nach Möglichkeit sollte auch von einer individuellen Therapie oder Beratung Gebrauch gemacht werden.
Nadine über die Gruppe nebelmeer …
In der geführten Gruppe Nebelmeer entdecken Jugendliche und junge Erwachsene, die einen Elternteil durch Suizid verloren haben, neue Perspektiven für ihre Zukunft.
Mariola und das nebelmeer …
Mariola hat ihre Trauer unter anderem mit Schreiben verarbeitet und sich am Buchprojekt beteiligt.
Nebelmeer — eine Aussensicht
Nebelmeer — Gemeinsam Perspektiven für Dein Leben finden nach dem Suizid eines Elternteils Ein Beitrag von Marcel Fässler
Jahrestage: ein Suizidrisiko für Hinterbliebene?
Es ist schon lange bekannt, dass der Jahrestag des Verlustes einer geliebten Person mit starken Reaktionen verbunden sein kann. Der Verlust einer geliebten Person steht in Verbindung mit einer erhöhten Mortalität, wozu auch der Tod durch Suizid gehört. Dies gilt sowohl für trauernde Partner, Geschwister, als auch für Eltern.
Träume im Trauerprozess
Träume sind eine von wenigen Möglichkeiten für Survivors (Hinterbliebene nach einem Suizid), um Erfahrungen mit der verstorbenen Person nochmals zu machen, um diese zu sehen, zu hören, zu umarmen. Dies ist etwas, was Survivors so oft als möglich erleben möchten, nachdem der Tod die Familie getroffen hat. In der klinischen Praxis wünschen sich viele Survivors, möglichst oft und lebhaft von den verstorbenen Personen zu träumen und diese zumindest in einem Traum zu treffen. Freud (1899-1976) analysierte und interpretierte Träume als erster strukturiert. Freud beschrieb Träume als Weg, der zum Unbewussten des Träumenden führt. Trauernde träumen in unterschiedlichem Mass – viele beklagen sich darüber, dass sie nicht oft genug träumen. Die Träume können darauf hinweisen, dass der Träumende sich wünscht, wieder mit der verstorbenen Person Zeit zu verbringen, können jedoch auch als Katalysator dienen in der Vorbereitung, um Unerledigtes zu lösen oder auch Bedürfnisse des Survivors zu befriedigen. So können tröstende oder hilfreiche Träume vorkommen, aber auch problematische und schmerzhafte. Träume können anzeigen, ob der Träumende bereits im Trauerprozess ist oder noch nicht. Normalerweise sind Träume zu Beginn des Trauerprozesses eher selten, während sie später häufiger auftreten. Dies steht im Zusammenhang mit den Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus in der ersten Phase des Trauerprozesses (Survivors haben häufig Schlafprobleme). Der Inhalt der Träume kann die Gefühle des Trauernden gegenüber der verstorbenen Person ausdrücken und dies kann sich in Form von schönen Treffen oder auch von Albträumen äussern. In Albträumen können reale Situationen vorkommen oder auch Fantasie-Situationen mit einem schlechten Ausgang (wie etwa der Versuch, das Leben des Verstorbenen zu retten und dabei zu scheitern, erbitterter Streit mit dem Verstorbenen, in denen der Survivor am Schluss durch den Verstorbenen zurückgewiesen wird, ein schmerzhaftes Bild des toten Körpers u.a.); die Träume können verwirrend und chaotisch sein, oder auch neue Hypothesen aufstellen, was die Todesursache betrifft. Die Trauer über den Tod kann nochmals erlebt werden. Bilder, welche die misslungene Rettung des Verstorbenen im Spital, zu Hause oder sonst wo zeigen oder auch Gefühle der Hilflosigkeit, da man nicht fähig ist, den Verstorbenen zu retten, kommen auch relativ häufig vor.
Tröstende und beruhigende Träume, die später im Trauerprozess auftauchen, leiten einen Versöhnungsprozess bei Trauernden ein, da die dahinter liegende Botschaft, wie sie durch die Träumenden (implizit oder explizit) interpretiert wird, ist, ihren Schmerz zu lindern. Die Träume, die Survivors nach dem Verlust einer geliebten Person haben, haben verschiedene Inhalte sowie Formen und sind von unterschiedlicher Dauer. Sie können der Trauer einen Sinn geben oder auch völlig unrealistisch und verwirrend sein. Ein spezifischer Traum-Typ ist der «Wieder lebendig»-Traum, in welchem der Verstorbene lebt und zum Survivor spricht, dem in diesem Moment bewusst ist, dass das nicht wirklich stimmt. Der Traum ist angenehm für den Träumenden; der Wunsch, den Verstorbenen zu trösten, wird Wirklichkeit und der Traum kann auch Zuneigung für den Träumenden ausdrücken. Ein anderer Typ ist der «Wieder tot»-Traum, in welchem der Todesfall nochmals wiederholt wird, wie er sich in Realität ereignete. Der Traum kann auch übetrieben oder verzerrt sein; der Verstorbene kann viele Gestalten annehmen, von denen einige unangenehm oder beängstigend sind für den Survivor. Ein dritter Traum-Typ ist der Abschiedstraum, in welchem der Verstorbene erscheint, um die geliebte Person definitiv zu verlassen und in welchem ihre physische Präsenz real erscheint. Dieser Traum ist mit positiven Gefühlen verbunden. Es gibt auch andere Arten von Träumen, in denen die verstorbene Person Survivors darüber informieren, dass es ihr gut geht und dass sie Frieden gefunden hat. Die träumende Person erhält manchmal auch Ratschläge, Bestätigung oder Missfallen von der verstorbenen Person. Träume sind ein wichtiger Teil des Trauerprozesses und ein Weg, um im Prozess voranzukommen. Die Traumbilder, welche Erinnerungen und Szenen, die mit der verstorbenen Person erlebt wurden, zeigen, helfen der trauernden Person, ihre Traurigkeit zu überwinden und das Leben nach einem Verlust erträglicher zu machen.
Unterstützung für Trauernde
Auch wenn Survivors (Hinterbliebene nach einem Suizid) Freunde haben, die sie eigentlich sehr gut kennen, werden ihre neuen Bedürfnisse unter Umständen kaum verstanden, weil für alle Beteiligten die Reaktion auf einen traumatisierenden Verlust etwas Unbekanntes ist. Die Offenheit gegenüber anderen ist die wichtigste Bewältigungsstrategie nach einem schweren Verlust, da dadurch die Unterstützung durch das Umfeld mobilisiert wird. Indem Trauernde kommunizieren, wie sie angesprochen werden wollen, können sie ihrem Umfeld zeigen, wie diese mit der Situation umgehen können. Rückmeldungen wie «Vielen Dank für deine Anteilnahme» können eine wichtige Form sein, um die erwünschte Unterstützung von Kollegen zu begünstigen.
Emotionale Unterstützung
Emotionale Unterstützung für Trauernde kann sich in verschiedenen Formen äussern: durch eine Umarmung oder einen Händedruck, durch einfühlsames Zuhören oder durch das Ausdrücken von Verständnis und Trost. Wenn ein Mensch alle Sicherheiten verliert, die bisher für ihn gegolten haben, ist allein die Anwesenheit eines vertrauten Menschen eine grosse Hilfe. Dies kann heissen, auch dann zuzuhören und für die trauernde Person da zu sein, wenn sie unerfreuliche Dinge erzählt oder das Bedürfnis hat, ihre Erfahrungen immer wieder mitzuteilen. Die emotionale Unterstützung wird positiv erlebt, wenn die trauernde Person spürt, dass ihr Geduld entgegengebracht wird. Wichtig ist auch, dass das Umfeld verlässlich ist und alle persönlichen Informationen vertraulich behandelt werden.
Ermutigung
Der beste Trost beinhaltet häufig wenige Worte. Zentraler ist, der trauernden Person zu zeigen, dass sich jemand um sie kümmert. Dies kann sich in kleinen Gesten äussern, wie z.B. einen Kuchen für sie zu backen, einen Blumenstrauss oder ein tröstendes Gedicht zu schenken. Für die nahestehenden Personen ist es oft schwer zu ertragen, einen Freund oder Verwandten so verzweifelt zu sehen und sie können daher versucht sein, die Zukunft in einem unrealistisch positiven Licht darzustellen. Die Herausforderung besteht darin, eine Ausgeglichenheit zu finden, sodass die Darstellung der Zukunft glaubwürdig erscheint. Auch der richtige Zeitpunkt ist wichtig: Es ist möglich, dass es gegenüber den Hinterbliebenen aufdringlich erscheint, wenn zu bald nach dem Todesfall Ermutigung angeboten wird.
Gespräche
Das Verbalisieren des traumatischen Erlebnisses trägt dazu bei, ein gewisses Gefühl von Kontrolle wiederherzustellen. Wenn Hinterbliebene ihren Kummer in einer Gruppe ausdrücken und Geschichten aus dem Leben der verstorbenen Person teilen, kann damit eine Geschichte entworfen werden, die hilft, den Sinnverlust im Leben der Trauernden zu kompensieren. Frauen tun dies öfter als Männer; man vermutet, dass Männer nach einem Verlust länger leiden, weil sie ihre Trauer weniger ausdrücken und damit dem Geschehenen keinen Sinn geben können.
Ratschläge
Erfahrungsgemäss können Personen aus dem Umfeld selten konstruktiven Rat anbieten. Zudem wünschen sich die Trauernden kaum je Ratschläge. Dennoch ist dies die häufigste Form von Unterstützung, die angeboten wird. Es ist wahrscheinlich, dass Menschen, die Ratschläge geben, eher vom Wunsch angetrieben sind, auf ihre eigene Überforderung zu reagieren, als dass sie dies aus dem Gefühl heraus tun, dass es der trauernden Person weiterhelfen könnte. In gewissen Fällen betrachten Personen, die eine existenzielle Krise erleben, das Erteilen von Ratschlägen auch als eine sehr gute Form von Unterstützung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Personen, die diese geben, über Wissen auf diesem Gebiet verfügen (Fachpersonen) oder Ähnliches erlebt haben. Dies bedeutet, dass Personen aus dem Umfeld, die gleichzeitig auch Fachleute sind (Fachpersonen aus Medizin, Psychologie, kirchliche Mitarbeitende, die Polizei etc.) oder welche den Verlust einer geliebten Person selbst erlebt haben, Ratschläge erteilen können. Hinterbliebene wünschen sich manchmal auch praktische Beratung, wie sie sich Hilfe von Fachpersonen holen können und wie sie kompetente Personen oder auch Behörden finden können, um zu Informationen zu kommen (bspw. was die Autopsie oder die Verteilung der Erbschaft betrifft). Ratschläge, die jedoch üblicherweise nicht so willkommen sind, beziehen sich auf den Trauerprozess und die Bewältigungsstrategien. Aufseiten der Trauernden braucht es viel Vertrauen, damit sie solche Ratschläge annehmen können. Eine enge Beziehung ist eine wichtige Bedingung. Die trauernde Person wird den Rat dann nicht als unnötige Einmischung betrachten, sondern als Ausdruck von Mitgefühl und Unterstützung. Das Risiko, dass die Hinterbliebenen verletzt werden, ist kleiner, wenn sie selber es sind, die um Hilfe bitten.
Informationen
In der Regel haben Personen, die einen plötzlichen und unerwarteten Todesfall erlebt haben, ein starkes Bedürfnis nach Informationen. Viele Hinterbliebene möchten so viel wie möglich über die Ereignisse rund um den Todesfall erfahren, insbesondere über die Gründe, die zum Tod geführt haben. Survivors haben das Bedürfnis, zu erfahren, ob ihre Reaktionen auf den Verlust «normal» sind und wie lange diese andauern werden. Erwachsene wollen zudem die Situation ihrer Kinder und deren Reaktionen verstehen und wie sie sie darin unterstützen können. Auch das Bedürfnis, verfügbare Hilfeleistungen zu kennen, ist gross. Telefonanrufe durch Personen aus dem Umfeld an Institutionen (Krankenhäuser, Ärzte, Psychologen, Steueramt, Polizei usw.), um von diesen die notwendigen Informationen zu erhalten, sind daher eine kostbare Unterstützung, welche nahestehende Personen anbieten können.
Unterstützung in der Arbeitsumgebung
Der grösste Wunsch von Menschen, die eine Krise erleben, ist die Rückkehr in die Normalität und in den Alltag. Daher möchten die meisten Trauernden so schnell wie möglich zur Arbeit zurückkehren, weil dies als wichtigster Schritt zurück in den Alltag angesehen wird. Zentral ist, dass gut abgewogen wird, ob es für die Person am besten ist, zur Arbeit zurückzukehren oder ob eher ein «Time Out» eingelegt werden sollte.
Was Kinder und Jugendliche brauchen
Unterstützende Netzwerke für junge Trauernde
- Flexibilität von ihrem Umfeld.
- unaufgeforderte, frühe, über lange Zeit dauernde und wiederholt angebotene Hilfe.
- Hilfe, die immer zur Verfügung steht und beansprucht werden kann, wenn sie gebraucht wird.
- Informationen zu praktischen Fragen.
- Zugang zu professionellen Beratungsangeboten.
- Informationen über und Kontakte von Unterstützungsangeboten.
Was können die Schulen tun?
Tipps für Freunde von jungen Trauernden
- Denk nicht oder drück nicht aus, dass du verstehst, wie sie sich fühlen.
- Versuche, Dinge nicht zu direkt zu sagen oder Ratschläge zu geben.
- Frag sie, wie du sie in ihrer Trauer unterstützen kannst.
- Achte ihre Wünsche bezüglich deinem Verhalten und frag sie, ob das, was du tust, ihnen hilft.
- Denk daran, dass du nicht eine alte Wunde wieder öffnest, wenn du auf natürliche Art über die verstorbene Person sprichst. Die betroffene Person denkt ohnehin sehr oft an den/die Verstorbene/n.
- Sorge für Pausen im Trauerprozess und überlege Dir Möglichkeiten zu Aktivitäten, die Spass machen – Aber nur, wenn die Person damit auch zurechtkommt.
- Vermeide offensive Bemerkungen wie «Hör auf damit», wenn die trauernde Person über ihren Verlust spricht und lass auch nicht zu, dass andere dies sagen.
- Übernimm die Initiative und gewähre langfristige Unterstützung.
Die Unterstützung muss täglich neu an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst werden.
Umgang mit Trauernden — Wann ist Hilfe notwendig?
EDie Gesellschaft hat die Erwartung, dass Trauernde schon relativ kurze Zeit nach dem Verlust wieder sozial funktionieren und leistungsfähig sind. Auch die Trauernden selbst haben diesen Anspruch oft und suchen eine Psychotherapie oder einen Arzt auf, um die schmerzhaften Trauersymptome «wegtherapieren» zu lassen. Auch wenn der Wunsch dieser Menschen sehr gut nachvollziehbar ist, ist eine zu früh begonnene Psychotherapie für Trauernde nicht zielführend. Ausnahmen stellen Personen dar, die keine sozial unterstützenden Kontakte vor Ort haben. Auch in diesen Fällen ist jedoch zu beachten, dass es sich um nicht-psychotherapeutische Hilfeleistungen handeln sollte. Die Gespräche sollen der psychischen Entlastung dienen und ein Schwerpunkt sollte darauf gelegt werden, inwiefern sich das aussertherapeutische Unterstützernetzwerk ausbauen lässt.
Aufgaben der Trauerbegleitung
T od begreifen helfen (Realisation)
R eaktionen Raum geben (Initiation)
A nerkennung des Verlusts äussern (Validation)
U ebergänge unterstützen (Progression)
E rinnern und Erzählen ermutigen (Rekonstruktion)
R isiken und Ressourcen einschätzen (Evaluation)
Der Trauerprozess verläuft nicht zwingend linear und bei allen Betroffenen gleich. Im Gegensatz zu Phasenmodellen, die häufig zur Beschreibung von Trauerreaktionen verwendet werden, zeigt das Spiralmodell auf, dass man in der Verarbeitung der Trauer unter Umständen die einzelnen Phasen mehrmals durchlebt.
Das Spiralmodell ist insofern treffend und tröstlich, als es verdeutlicht, dass bei allem Hin und Her, Vor und Zurück, bei allen Schwankungen, denen Trauerprozesse charakteristischerweise unterworfen sind, und trotz scheinbarer Rückfälle und Wiederholungsrunden doch zugleich Entwicklung und Fortschritt möglich sind: In der Spiralbewegung wird der Verlust wieder und wieder in allen möglichen Dimensionen umkreist, und doch öffnet sich der Prozess nach aussen hin.
Aufgabe 1: Den Tod begreifen helfen (Realisation)
Den Tod zu begreifen, d.h. die kaum zu fassende Tatsache des Todes überhaupt zu realisieren, ist die erste Aufgabe Trauernder und Voraussetzung für alle weiteren Schritte der Verlustbewältigung. Sie kann am besten ganz körperlich angegangen werden: Am Totenbett, wo die Veränderungen am leblosen Körper so «sinnfällig» werden, dass man den Tod sieht, hört, riecht, fühlt und im Wortsinn «begreift».
Aufgabe 2: Reaktionen Raum geben (Initiation)
Oft genügt es schon, für Zeit, Ort und Gelegenheit zu sorgen, also im konkreten und im übertragenen Sinne für einen Raum, in dem Trauernde ungestört das Ihre erleben können. Was das im Einzelnen ist, kann individuell ganz verschieden sein. Wichtig ist, dass TrauerbegIeiter sich von eigenen Erwartungen, wie «man» trauert, möglichst frei machen und ihre Wahrnehmung für das schärfen, was die Hinterbliebenen selbst als ihr Bedürfnis erkennen lassen.
Aufgabe 3: Anerkennung des Verlusts äussern (Validation)
Es ist nicht nur eine Frage der Würdigung der Verstorbenen. Es geht auch um die Würdigung der Hinterbliebenen. Ihre Krise, ihr Schmerz, ihre Wut und andere Gefühle, die radikale Veränderung ihres sozialen Gefüges, ihres Alltags, ihres Status, kurz: ihr Verlust verlangt nach Wahrnehmung und Anerkennung – umso stärker, je mehr eine allgemeine soziale Anerkennung fehlt.
Aufgabe 4: Übergänge unterstützen (Initiation)
Paradebeispiele für die Gestaltung des Übergangs sind Abschiedsrituale aus der kirchlichen Tradition wie die Aussegnung der Toten auf dem Totenbett oder die Trauerfeier mit anschliessender Grablegung auf dem Friedhof. Hier wird symbolisch vorgebildet, was Hinterbliebene in ihren Trauerprozessen immer wieder auf verschiedenste Art und Weise bewältigen müssen: sich den Verstorbenen bzw. dem Tod und dann wieder dem Leben bzw. einem neuen Leben ohne die Verstorbenen anzunähern.
Die Übergänge sind jeweils in beide Richtungen schwierig: nicht nur das Herantreten ans Totenbett oder ans offene Grab; nicht nur, dem Toten bzw. dem Tod ins Gesicht zu sehen; nicht nur alles, was man dem Verstorbenen nun noch ein letztes, vielleicht einziges Mal und dann nie wieder sagen kann, sondern auch das Umgekehrte: sich umdrehen und abwenden von den Toten, sie endgültig zurücklassen und weggehen, aus dem Sterbezimmer heraus, aus dem vertrauten Flur heraus, aus dem Kranken- oder Trauerhaus, aus der Friedhofkapelle, vom Friedhofweg auf die Strasse – jede Tür eine Schwelle, jeder Schritt ein Schritt in die Öffentlichkeit, ein Eintreten in die Welt der Lebenden und in ein Leben, das stillzustehen scheint und doch schon weitergeht, ehe man dazu bereit ist.
Diese zweite Bewegung findet oft weniger Beachtung als die erste. Aber: Nicht nur die letzten Wege zu und mit den Toten, auch die ersten Wege weg von ihnen und ohne sie sind besonders schwer. Unterstützung kann z.B. durch Rituale gegeben werden: Kerzen anzünden und löschen; die Uhr anhalten und später wieder in Gang setzen; Spiegel verhängen und später wieder enthüllen; Trauerkleidung anziehen und später wieder ablegen. Man kann sich traditioneller Rituale bedienen, neue erfinden oder alte aus der Situation heraus neu gestalten.
Aufgabe 5: Zum Erinnern und Erzählen ermutigen (Rekonstruktion)
«Das hast du mir schon tausendmal erzählt», sagen Dritte manchmal angesichts der immer wiederkehrenden Erinnerungen Trauernder an ihre Toten. Dieses wiederholte Erinnern steht jedoch im Dienst der Trauerarbeit. Es geht dabei nicht nur um ein «Abreagieren» der Präokkupation (ständige Beschäftigung mit vereinnahmenden Gedanken), sondern letztlich um das, was die Fachleute «Biografiearbeit» oder «Rekonstruktion von Lebensgeschichte» nennen.
Durchgearbeitet wird dabei sowohl die Lebensgeschichte der Verstorbenen als auch die der Hinterbliebenen. Die Verflechtung beider kommt in den Blick, und es wird deutlich, wo die Verbundenheit über den Tod hinaus fortgesetzt werden kann und wo eine Entflechtung ansteht. Die Rückschau auf die Lebens- und Beziehungsgeschichte gewinnt zusätzliche Dimensionen, wenn sie vor einen religiös-weltanschaulichen Horizont gestellt wird.
Aufgabe 6: Risiken und Ressourcen einschätzen (Evaluation)
Im Erstgespräch sollten Trauerbegleiter abklären, welche Risikofaktoren im jeweiligen Fall vorliegen. Die Ressourcen können bei der Verlustbewältigung helfen – vorausgesetzt, dass die Betroffenen sie aktivieren. Dazu sollten Trauerbegleiter Hinterbliebene anregen, z.B. mit Fragen wie: «Wenn Sie nachher hier hinausgehen und nach Hause kommen, wer oder was erwartet Sie da? Was davon ist für Sie belastend, was stärkend?»
In den folgenden Tagen:
«Wovor graut Ihnen?»
«Woran und an wen können Sie sich halten, wer oder was könnte für Sie hilfreich sein?»
«Wer oder was hat Ihnen früher schon geholfen?»
«Welche Menschen, Orte, Aktivitäten, Ideen oder Gedanken sind angenehm für Sie, welche davon könnten Sie jetzt aktivieren?»
«Wobei können Sie sich selbst gut helfen, und wie?»
«Was werden Sie nach dem Verlust Ihres Verstorbenen besonders vermissen?»
«Was werden Ihre nächsten Schritte sein, was Ihre nächsten Erholungsoasen?»
«Woran werden Sie trotz Ihres Verlustes weiterhin Freude haben?»
Hilfe zur Selbsthilfe ist oft sinnvoller als Hilfe.
Do’s und Don'ts: Umgang mit Trauernden
- Den Tod beim Namen nennen: Immer «tot» oder «gestorben» sagen – dies hilft, den Tod zu begreifen (Realisierung), und es signalisiert Gesprächspartnern, dass man nicht ausweicht, sondern bereit ist, mit ihnen über Tod und Trauer zu sprechen.
- Trauerreaktionen fördern, nicht fordern. Raum, Zeit, Gelegenheit zum Trauern geben, der Trauer einen Erlebnis- und Erlaubnisraum öffnen, aber nicht dazu drängen, sie jetzt, hier und vor mir auszuleben.
- Lindern heisst behindern. Gefühle nicht beschwichtigen, nicht schmälern, nicht beschönigen, nur weil man so gern trösten möchte. Den Verlust nicht verharmlosen, sondern würdigen.
- Ich- statt Du-Botschaften. Eigene Gefühle und Mitgefühl äussern, aber (auch wenn man Ähnliches erlebt zu haben glaubt) niemals meinen oder sagen «Ich weiss genau, wie du dich fühlst!» Das hängt eng mit dem nächsten Punkt zusammen.
- Deine Trauer ist nicht (wie) meine. Nicht erwarten, dass jemand so reagiert, wie ich in derselben Situation reagieren würde, sondern die Reaktion meines Gegenübers sorgfältig wahrnehmen. Nicht «wissen», sondern fragen, wie es ihm geht. Jeder Mensch trauert anders!
- Zuhören und erzählen lassen, auch zum 1001. Mal. Durch Erinnern und Widerholen ihrer Geschichte(n) mit den Verstorbenen verarbeiten Trauernde ihren Verlust. Geschichten, die immer wieder erzählt werden, haben dabei eine Schlüsselfunktion. Deshalb auch beim 1001. Mal zuhören, auf Unterschiede zum letzten Erzählen achten und sie spiegeln! (Leitfrage: bleibende Bedeutung/Neuverortung des/der Verstorbenen?)
- Hilfe entgegenbringen, nicht nur anbieten. Rückzug liegt in der Natur der Trauer, deshalb nicht warten, dass Trauernde sich melden, sondern selber hingehen. Anrufen, nicht sagen: «Ruf mich an, wenn du mich brauchst.» Sich nicht bitten lassen, sondern da sein.
- Einmal ist keinmal. Bei Hilfsangeboten und Versuchen, mit den Trauernden in Kontakt zu treten, mit Ablehnung rechnen und sie trotzdem (ohne gekränkt zu sein) mehrmals wiederholen. Die ausgestreckte Hand, die ihnen zeigt, dass sie nicht vergessen und verlassen sind, tut Trauerenden vielleicht gut, auch wenn sie nicht einschlagen. Und: Was vorgestern noch abgelehnt wurde, wird morgen vielleicht gern angenommen. Trauer ist ein Prozess.
- Beim ersten Mal tut’s weh. An Fest-, Jahres-, Geburts- und Todestagen an die Trauernden denken und sie dann nicht allein lassen – alles, was sie zum ersten Mal ohne die Verstorbenen erleben müssen, ist besonders schwer.
- Den Verlassenen verlässlich sein: Trauernde sind Verlassene, daher klare Verabredungen treffen, statt neue Ungewissheiten und Enttäuschungen zu produzieren. Keine vagen Zusagen machen, sondern sagen, was und wann ich nicht kann und genau so deutlich ankündigen, wann ich kommen oder was ich tun werde – und das dann zuverlässig einhalten.
Zum Thema Suizid — Was die Leute so sagen …
Welche Behauptungen stimmen, welche nicht?
- Die Schweiz gehört zu den Ländern mit den meisten Suiziden.
- In der Schweiz gibt es mehr Suizide als Verkehrstote.
- Wer davon spricht, sich das Leben zu nehmen, begeht kaum je Suizid.
- Wird jemand auf eventuelle Suizidabsichten angesprochen, kann es ihn erst auf die Idee bringen.
- Suizid ist vererbbar.
- Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten neigen eher zu Suizid.
- Suizide können „ansteckend“ wirken.
- Alkohol- oder Drogenkonsum erhöht das Suizid-Risiko.
- Menschen, die Suizid begehen, wollen eigentlich gar nicht sterben, sondern nur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
- Es ist gefährlich, über Suizid zu reden.
- Es gibt jedes Jahr mehr Suizide.
- Es nehmen sich immer mehr Jugendliche das Leben.
- Die Suizide sind ein Barometer unserer gesellschaftlichen Probleme.
- Jemand, der einmal suizidgefährdet war, bleibt es immer.
- Bessere Kommunikation kann Suizide verhindern helfen.
- Aufmunterndes Zureden, wie: „Du wirst Deine Prüfung bestimmt bestehen; Du bist jung, Du hast Dein Leben vor Dir; Du machst Dir Sorgen um nichts.“ kann aus der Krise helfen.
- Suizidabsichten werden häufig verschlüsselt geäussert.